Die Seo-Legion

Die Existenz einer Seo-Legion wurde bislang immer vehement geleugnet. „Ist uns nicht bekannt“, lautete die monotone Antwort auf hunderte Briefe und Mails an Regierungen, Geheimdienste und Seos. Bis zu jenem Tag, als ein Kurier ein mysteriöses Päckchen lieferte. Der Inhalt: ein einfaches Mobiltelefon. Es war bereits eingeschaltet, ohne Providerkennung im Display, und klingelte kurz nach der Lieferung. „Sie haben mit Ihren Fragen nach der Seo-Legion viele Menschen nervös gemacht. Wenn Sie Antworten wollen, stehen Sie morgen um 5 Uhr vor Ihrer Haustür. Kein Gepäck, kein Handy. Block und Bleistift erhalten Sie von uns.“ In dem Moment war das Gespräch beendet. Das Volksphone, so die Bezeichnung auf dem Gehäuse, wurde heiß. Vorsichtshalber warf ich es in die Spüle. Dort verschmolzen Akku und Sim-Karte zu einem Plastik-Kunstwerk.

Der nächste Morgen: Blutdruck und Puls bewegten sich in Regionen, die jeden Hausarzt in Schwitzen gebracht hätten. Schon vor 5 Uhr stand ich draußen. Sofort kam ein schwarzer Wagen vorgefahren. Ein Mann mit Ski-Maske stieg aus und drängte mich in das Auto. Kurz darauf spürte ich einen Stich in der Seite. Erst Stunden später ließ die Wirkung des Betäubungsmittels nach. Wir befanden uns in der Luft. Der Hubschrauber kreiste über dem offenen Meer, in Blickweite eine Insel. „Wir landen gleich. Sie haben zwei Stunden, sich umzusehen. Dann holen wir Sie wieder ab“, lautete die knappe Anweisung.

Kaum gelandet, wartete auch schon ein Mann im grünen Militärdress auf mich. „Guten Tag, ich bin Kommandeur im Ausbildungscamp der Seo-Legion. Sie dürfen gucken, aber mit niemanden außer mir sprechen, es sei denn, ich erlaube es. Hier haben Sie Schreibzeug, damit Sie Notizen machen können“, erklärte er und ging vor. Das Gelände war mit Stacheldraht gesichert. Wir liefen einen schmalen Pfad entlang zum Camp. Aus der Entfernung war Gesang zu hören: „Ich will ein großer Seo sein. Dafür muss ich schwitzen wie ein Schwein.“ Der Kommandeur nickte nur kurz in die Richtung: „Das sind die neuen Rekruten, die müssen erst mal lernen, was es heißt, den Hintern aus dem Sessel zu kriegen.“

Das Camp der Seo-Legion selbst entpuppte sich als Ansammlung mehrerer Blockhütten, in der Mitte ein Lagerfeuer. „Wie bewirbt man sich bei Ihnen“, lautete meine erste Frage. Die Antwort war ein Lachen. „Bewerben? Wir halten Ausschau nach jungen Talenten und werben sie an. Wenn die hier eintreffen, glauben viele, wir halten ein paar Vorträge, servieren kühle Drinks und spendieren abends einen Döner“, berichtet der Ausbilder. „Aber den Zahn ziehen wir den Damen und Herren ganz schnell. Die lernen hier schon, was Disziplin und harte Arbeit sind.“ Kaum hatte er den Satz beendet, pochte die Ader an seiner Schläfe und hallte wenige Sekunden später ein markerschütternder Schrei über den Platz. „Greeetuuss, Hemd in die Hose und Mütze richtig auf.“ Der Rekrut rief, „Sir, jawohl, Sir“, ging auf den Boden und machte 15 Liegestütze. „Das nächste Mal kratzt Du den Gulliglibber aus der Latrine“, brüllte der Kommandeur. „Sir, jawohl, Sir.“

Der Rundgang durch das Lager war eher langweilig. Hütten mit schlichten Etagenbetten – in vielen davon waren Kuscheltiere zu sehen – Übungsräume und zwei Waschsäle. Auf dem Weg zum Lagerfeuer wies der Kommandeur auf eine Gruppe Seo-Rekruten. Sie liefen mit hochroten Köpfen hinter einer jungen Frau her „Die Jungs haben Sie eben gehört. Wenn die unsere Billy B. zum ersten Mal sehen, sabbern die gleich los. Doch das ändert sich ganz schnell. Die Frau haben wir von einem Schweizer, als Spezialistin für Adrenalin-Schübe. Die nimmt die Neuen richtig hart ran.“ Billy B. sah den Männern und Frauen nach, die zu den Duschen marschierten. „Geht doch“, sagte sie im Vorbeigehen.

Die nächste Station lag etwas außerhalb des Lagers der Seo-Legion. An einem Tisch saßen mehrere angehende Seo-Legionäre, dabei ein Ausbilder. „Der Link ist Euer bester Freund. Passt auf den Link auf, nehmt ihn mit ins Bett und haltet ihn sauber. Wer hier mit einem schmutzigen Link auftaucht, kommt auf die Nachbarinsel und darf so lange im Sand buddeln, bis er wieder abgeholt wird.“ Der raue Ton schien die Rekruten nicht zu stören. Der Kommandeur sah mir über die Schulter: „Wenn die hier fertig sind, bauen die einen guten Link in 15 Sekunden. Die Schulung am Link gehört neben der körperlichen Fitness und der Contentlehre zu den wichtigsten Bestandteilen in der Grundausbildung. Contentstunden dürfen wir Ihnen allerdings nicht zeigen.“

Viele Fragen konnte ich bis dahin nicht stellen. Es waren einfach zu viele Eindrücke und der Bleistift ratterte nur so über das Papier. „Können Sie mir ein paar Namen von Seos nennen, die als aktive Legionäre unterwegs sind?“ Das Kopfschütteln des Lageleiters sagte alles. „Namen sind Schall und Rauch. Hier waren viele. Ich erinnere mich an jeden einzelnen. Zwei von denen saßen jeden Abend am Lagerfeuer und träumten davon, einmal eine Seo-Radioshow zu moderieren. Echt nette Jungs, konnten allerdings auch nur mit Teddy im Arm einschlafen“, schwärmte der Kommandeur. „Dann war da noch einer, der alles fotografieren wollte. Ich glaube, wir haben dem elf Kameras abgenommen, von der dicken Spiegelreflex- bis hin zur selbst gebastelten Lochkamera. Ach, ein Seo-Monster hatten wir hier auch. Der lief abends immer rum und erschreckte alle.“ Der Mann hielt kurz inne. „Ja, die haben es alle geschafft.“

Die zwei Stunden waren schneller vergangen, als mir lieb sein konnte. Bevor es wieder zum Hubschrauberlandeplatz ging, erklärte mir der Kommandeur noch kurz die Aufgabe der Legion. „Wir bilden Einzelkämpfer aus, die späte jeder für sich tätig sind. Dass sie bei der Legion gelernt haben, wird keiner verraten. Unser Ziel ist einfach nur das Gleichgewicht der Kräfte. Daran arbeiten unsere Seos weltweit. Wer tief fällt, dem helfen wir nach oben, auch gegen den Widerstand der dunklen Seite der Macht.“ Das waren seine letzten Worte, bevor er sich verabschiedete. Vom Rückflug bekam ich dank Spritze nichts mit. Ich wachte am nächsten Tag im eigenen Bett auf, fand den Block und begann zu schreiben, über saubere Links, Billy B. und schwitzende Rekruten.

7 Gedanken zu „Die Seo-Legion“

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