Seo Jones rettet die Campixx

Die Wange schmerzte. Sich beim Rasieren zu schneiden, war für Seo Jones immer ein schlechtes Zeichen. Doch diesen Gedanken schob der Linkologe beiseite. Er saß im Zug Richtung Berlin und sah aus dem Fenster. Die Landschaft rauschte an ihm vorbei, wie in einem surreal angehauchten Film. Dass die Link-Welt wenig später stillstehen würde, konnte er nicht ahnen.

Mit jeder Station stieg die Vorfreude auf die Campixx. Es war das erste Jahr, dass der Professor an der legendären Veranstaltung teilnahm. „Da können Sie endlich mal ausspannen“, hatte Anna Lytics ihm noch kurz vor der Abfahrt gesagt. Genau darauf freute sich der Mann, der den Panda gewissermaßen eingetütet hatte. Am Berliner Bahnhof schnappte er sich deshalb das erstbeste Taxi und ließ sich bis auf einen halben Kilometer zum Hotel kutschieren. Den Rest des Weges wollte er zu Fuß zurücklegen. Ein wenig frische Luft und etwas Bewegung waren nach der langen Fahrt genau das Richtige. „Das wird toll“, dachte Seo und legte einen Zahn zu.

Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass es immer ruhiger wurde. Erst wenige Meter vor dem Tagungshotel stutzte Seo Jones. Nicht ein Linkologe stand vor der Tür. Es war totenstill. „Wo sind die alle? Bin ich zu spät?“ Der Professor sah auf seine Uhr. Ein paar Minuten noch bis zur Begrüßung durch den Sumagott. „Dann auf ins Vergnügen.“ Als Seo zum Eingang laufen wollte, wurde er unsanft gebremst. Eine unsichtbare Barriere hielt ihn davon ab, das Gebäude zu betreten. Trotz mehrerer Versuche: Der Linkologe kam nicht einen Schritt weiter. „Verdorri noch mal, was ist denn hier los“, fluchte er und tastete sich langsam vor. Sein Blick schweifte von der Eingangshalle zu den Fenstern. Was er dort sah, ließ ihn kurz zurückschrecken. Im Foyer standen Dutzende Linkologen, ganz vorne der Sumagott, mit weit aufgerissenen Augen. Doch sie bewegten sich nicht. Sie waren starr wie Salzsäulen. Selbst der Mann, der gerade seinen Hähnchengrill aufgebaut hatte, wirkte wie eingefroren.

Seo Jones setzte sich auf eine der Bänke vor dem Grill. „Wenn man sich schon mal auf was freut.“ Da der Magen knurrte, schnappte er sich eines der halben Hähnchen. Nach dem zweiten Bissen hörte er ein Rattern und Knattern. Ein VW-Bus, mit allerlei Farben besprüht, rollte auf den Parkplatz. Sein Kumpel Fridaynite stieg aus, zusammen mit ihm Maler Maddin, der Linkkünstler, und die beiden Linkologenkollegen Eisy und Löwenherz. „Moin Seo, alles frisch“, hallte es quer über den Platz, „warum bist Du nicht im Hotel. Geht doch jetzt los.“ Der Professor kaute weiter und zeigte Richtung Hotel: „Dann versucht mal Euer Glück.“ Einer nach dem anderen prallte von der Barriere ab.

„Wollt Ihr auch einen halben Hahn?“, fragte Seo die vier Freunde. Eisy grinste: „Nee, nicht nötig. Haste Bomsen in der Tasche, haste immer was zu nasche.“ Der Linkexperte griff in seine Jackentasche und zog ein Kirschbonbon heraus. Da saßen sie nun, die fünf Profis. Fast eine Stunde lang diskutierten sie darüber, was passiert sein könnte. Erst ein Radfahrer lenkte sie ab. „Tach. Ich bin Jürgen von der Kippe, ist hier ein Seo?“, rief er den Männern zu. „Wer bist Du?“ Maddin dachte, sich verhört zu haben. „Der Jürgen von der Müllkippe. Ich habe hier einen Umschlag für einen Seo. Hat mir ein Typ in der Frittenbude in die Hand gedrückt. Und einen Fuffi dafür, dass ich den Brief hier abgebe.“ Seo nahm entgeistert den Umschlag und verabschiedete Jürgen. Der radelte glücklich davon, um das Geld in Ernas Liebeslaube auf den Kopf zu hauen.

Zurück blieben fünf ratlose Linkologen. Fridaynite kratzte sich am Kopf, Maler Maddin putzte zum x-ten Mal seine Brille, Eisy zerkaute das fünfte Bonbon und selbst der sonst dank Reiki tiefenentspannte Löwenherz hampelte herum. „Jetzt mach` das Ding schon auf.“ Seo öffnete den Brief. „LoLA“ stand dort in blauen Lettern, klein darunter „Loge der Link-Asketen“. Das Schreiben war direkt an Seo gerichtet: „Sehr geehrter Herr Jones, wenn Sie Ihre Freunde und Kollegen retten wollen, vernichten Sie alle Links. Erst wenn die Welt von diesem Übel befreit ist, schalten wir den Bannstrahl ab. Keine linken Touren, wir sehen alles.“ Löwenherz stand fassungslos da. Der Erste, der sich wieder fing, war Eisy. An Löwenherz gewandt sagt er, „Mund zu, Milchzähne werden sauer.“ Richtung Seo Jones stellte er die alles entscheidende Frage: „Was machen wir jetzt?“

Wieder wurde diskutiert. Alle wussten, dass der Wunsch von LoLA utopisch war. „Wenn die alles sehen, müssen die doch hier in der Nähe sein oder zumindest eine Kamera aufgebaut haben“, warf Friday in die Runde. Seine Idee: Die Gegend erkunden. „Fünf Freunde suchen LoLA“, scherzte Maddin, „dann auf in den Kampf.“ Die Linkologen zogen los. Schon nach wenigen Minuten entdeckte Eisy eine Webcam, machte den Rest der Gruppe aber erst einige Meter entfernt darauf aufmerksam. „Die beobachten uns über Kameras. Da drüben habe ich eine gesehen“, flüsterte er. Jeder mit einem Handy ausgestattet, trennten sich die fünf Männer.

„Das glaubt Ihr nicht“, meldete sich Löwenherz. Mit einem Fernstecher hockte er hinter einem großen Strauch und wartete auf Eisy, Seo, Fridaynite und Maddin. Als die Fünf komplett waren, deutete er auf einen Spielplatz. Dort saßen drei Jungs im Sandkasten. Vor sich aufgebaut mehrere Notebooks und eine riesige Satellitenschüssel. Durch das Fernglas sah Seo, dass auf den T-Shirts „LoLA“ stand. „Hier sind wir richtig. Gut gemacht, Löwenherz.“ Die Linkexperten überlegten, wie sie vorgehen sollten. Schließlich steuerten sie von allen Seiten auf den Sandkasten zu und überraschten die drei Mitglieder der Loge.

Seo staunte nicht schlecht, als die LoLAs ihre Mützen abnahmen. Mit gesenkten Häuptern saßen dort Findi, Ceilex und Twinga, drei ehemalige Kollegen. Sie hatten im vergangenen Jahr alles verloren, weil sie auf die falschen Links gesetzt haben. „So, so. Wir sollen also alle Links vernichten. Habt Ihr einen an der Klatsche?“ Maddin konnte sich kaum zurückhalten. Eisy musste ihn stoppen, sonst hätte der Linkkünstler den drei Asketen mit spitzer Feder mehr als nur einen Schnurrbart gemalt. „Schalt‘ das Ding ab.“ Seo Jones war äußerlich ruhig, innerlich kochte er. Findi tat, wie ihm geheißen. Die rote Leuchte an der Schüssel erlosch und die Notebooks fuhren herunter. Eingeschüchtert folgten die Linkhasser den Freunden zum Hotel. Dort standen bereits alle Teilnehmer, viele mit Fluppe in der Hand, und die Polizei. Der Sumagott war noch ein wenig blass um die Nase. Er klopfte Seo und Konsorten auf die Schultern: „Jungs, jetzt machen wir Party.“

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