Seitdem Google die Vorherrschaft des Internets übernommen hat, wünschen sich nicht wenige Marktteilnehmer etwas mehr Konkurrenz auf dem Markt der Suchmaschinen. Zu groß jedoch ist der technologische Vorsprung, zu ausgereift der Algorithmus von Google. Wo tausende Entwickler, Quality Rater und Millionen von Nutzern tagtäglich den Index verbessern haben es selbst Giganten wie Microsoft nicht einfach bemerkenswerte Reichweiten zu erlangen. Mittlerweile ist man sich wohl darüber einig, dass ein Emporkömmling Google nicht in der eigenen Disziplin schlagen kann, sondern etwas grundlegend Neues vorweisen müsste. Und dennoch, trotz vieler Versuche gibt es bis heute leider noch immer keine nennenswerte Konkurrenz, zu gleich sind die Angebote der Großen, zu klein die der Kreativen.
Mögest du in interessanten Zeiten leben
Eine chinesische Verwünschung lautet: “Mögest du in interessanten Zeiten leben”. Denn interessante Zeiten birgen in der Regel viel Potential für grundlegende Veränderungen der Wirtschafts- und Machtverhätlnissen. Und in der Tat, wenn man zu verstehen sucht, was es bedarf Google aufzumischen, muss man sich vergegenwärtigen, wie sehr die Welt einem ständigen Wandel unterliegt. Der Telefon löst die Telegramme ab, der Computer den Fernseher und Web 2.0 die statischen Riesen der ersten Internetgeneration. Wenn immer es zu drastischen Veränderungen kommt, werden die Karten neu gemischt und Machtverhältnisse neu verteilt. Genau aus diesem Grund haben viele Unternehmen in schnelllebigen Sektoren Probleme dauerhaft erfolgreich zu sein. Einmal groß geworden sind viele von ihnen zu unflexibel um rechtzeitig auf die Änderungen der Zeit reagieren zu können. Derartige Trägheit bedeutet wiederum Chancen für Startups welche die Probleme der Zeit lösen können. Bisher hat Google einen großartigen Job gemacht, ihre Fühler in die richtigen Richtungen auszustrecken und sich mit Produkten wie analytics, maps, gmail, youtube, feedburner und anderen strategisch ständig auf neue Gegebenheiten eingestellt oder sich zumindest bemüht die Optionen weitestgehend offen zu halten. Lässt man den Blick mit diesem ständigen Wandel im Hinterkopf aber mal in Richtung 1999 zurückschweifen, stellt man fest, dass Google in der damaligen Internetlandschaft mit seinem PageRank zwar ein Problem der Zeit gelöst hat, seitdem aber weitestgehend mit der strategischen Erweiterung seiner Marktstellung beschäftigt war. Mit Erfolg muss man sagen, denn selbst ähnlich gute oder gar etwas bessere Suchdienste würden Google wahrscheinlich nicht mehr den Rang ablaufen können. “Googlen” ist zu tief in den Köpfen der Menschheit verankert. Die stärkste Marke der Welt ist für zuverlässig funktionierende Einfachheit bekannt, der Mensch als Gewohnheitstier macht da keine unnötigen Experimente mit anderen Anbietern.
Was hat sich verändert?
In den Jahren seit 1999 ist natürlich unheimlich viel passiert, Google hat durch die Gewichtung von Links einem unstrukturierten Internet eine Rangordnung eingehaucht und das Internet hat sich von einem etwas einseitigen Konsummedium zu einer in sich kommunizierenden Cloud gewandelt. Daten werden immer spezifischer und ihre Formate immer konzentrierter, wo früher eine Fachzeitschrift gekauft wurde, werden heute nur einzelne Blogbeitrage gelesen. Menschen schließen sich in sozialen Netwerken oder Interessengruppen zusammen und tauschen im Instant Messanger, auf Facebook und natürlich Twitter ihre Erkenntnisse, Fundstücke, Errungenschaften und sonstigen geistigen Ergüsse aus. Was speziell bei geistigen Ergüssen oder fliegenden Schafen etwas aberwitzig klingen mag sind in der Regel auf mich zugeschnittene und somit hochrelevante Informationen. Ähnlich wie bei meinem Google Reader erreichen mich nur Information von Leuten die ich als relevant eingestuft habe. Es hat also eine grundlegende Richtungsänderung stattgefunden – wo früher Informationen gesucht werden mussten, kommen heutzutage die Informationen auf mich zu.
Sag mir mit wem du gehst, und ich sage dir was du suchst
Was Google schon vor Jahren richtig erkannt hat, ist das auch Ihre Informationsbeschaffung immer umfangreicher werden muss, wo früher der Link von Webseite A zu Webseite B als Qualitätskrierium ausgereicht hat, mussten bald weitere Hintergrundinformationen mit einfließen. Als auch dies nicht mehr ausreichte, wurden der in die Jahre gekommene PageRank von einem Trustrank abgelöst und mittels der gigantischen Reichweite von Google Nutzungsdaten gesammelt. Und dennoch, trotz allem Sammeln, Speichern und Verwerten bleibt Google doch immer nur der stille Beobachter, maximal fähig mathematische Schlüsse aus mehr oder weniger anonymen Benutzerdaten zu ziehen. Die Versuche unter Einbeziehung von Digg und anderen Social Media Diensten eine virale Komponente mit in den Algorithmus einfließen zu lassen kann man zwar erfolgreich nennen, aber auch sie kratzen eigentlich nur an der Oberfläche dieses neuen Internets. Um wirklich tiefgreifend verstehen zu können wie soziale Gruppen oder Interessengemeinschaften mit einander interagieren, braucht man nicht statistische sondern echte, personenbezogene Daten…
Wie Facebook Twitter Konkurrenz machen wird
Als ich das neue Layout von Facebook letzte Woche in der Vorschau zum ersten Mal sah, ist mir nicht direkt aufgefallen was diese Design Änderung eigentlich für Auswirkungen haben könnte. Erst als ich später über den Spiegel Artikel Facebook baut sich zur Webschwatzbude um gestolpert bin und mir das Techcrunch Interview mit Ex Googlerin Sheryl Sandberg sowie die gescheiterte $500 Mio Übernahme von Twitter ins Gedächtnis rief, setzten sich die Stücke bei mir langsam zusammen. Was Facebook da eigentlich baut ist nicht nur ein Live Stream, sondern könnte vielmehr zu einem gigantischen Internet Aggregator werden. Denn dank der neuen Pages kann ich nicht nur mich mit Millionen von Fans, Supportern oder Kunden verknüpfen, sondern diese auch mittels meiner Statusmeldungen und anderen Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten – sämtliche Änderungen kommen direkt in die Livefeed meiner Entourage. Im Gegensatz zu Twitter ist Facebook dabei kein aufstrebendes Startup sondern vermutlich bereits an die 200 Millionen User schwer und auf dem besten Wege die meistbesuchteste Website der Welt zu werden. David gegen Goliath also und darüber hinaus auch ungleich mehr Möglichkeiten sich auf Facebook zu präsentieren. Bei gays.com z.B. haben wir neben unserem Twitter Account sehr viel Energie in den Aufbau der Facebook Page gesteckt, über welche wir jetzt unsere Blogbeiträgen verbreiten, Events planen, oder Newsletter an unsere 18.000 Fans schicken können. Twitter kann da nicht mithalten.
Wenn man sich zu Gemüte führt wie Dell nach eigenen Angaben $1 Mio. Umsatz durch Twitter generiert hat und Obama seinen Wahlsieg unter anderem der ausgezeichneten Kommunikation mit fast 6 Millionen Facebook Supportern und annähernd 400.000 Twitter Folgern zu verdanken hat, wird klar was für ein gigantisches Potential in der Verknüpfung von Nutzermassen mit Unternehmen liegt. Mit bereits einem Fünftel der Internet Bevölkerung und noch immer 2stelligen Wachsumsraten in den bevölkerungsstarken asiatischen Ländern wird Facebook bald das zentrale Bindeglied zwischen Produkten, Firmen, Persönlichkeiten und den Menschen dieser Welt darstellen. Als Betreiber der Datingseite Poppen.de habe ich mich immer gefragt, warum Facebook nicht einfach einen Premiumaccount anbietet, um so sicherlich 1% der Nutzer zu regelmäßigen Zahlern zu machen. Nun habe ich verstanden, dass sie ihr Geld wahrscheinlich ganz wo anders machen werden…
Facebook Connect als sozialer Aggregator
Doch mehr noch, mittels Facebook Connect und den Social Applications können nun auch noch meine Aktivitäten von anderen Seiten in meinen Livefeed gestreamt werden. Eine Art Beacon 2.0 also, nur dass Webseiten dieses Mal nicht freiwillig bei Facebook einbuchen werden um Werbung zu machen, sondern früher oder später nicht umhinkönnen auch mit Facebook verküpft zu sein wenn sie ein Stück vom Traffic Kuchen abbekommen wollen. Das Endresultat wird je nach Privatsphäre-Einstellungen also ein universeller Feed für die Internet-Aktivitäten meiner Freunde, Produkte und Businesspartner. Über die Möglichkeit meine Facebook Freunde in Gruppen einzuteilen, kann ich dann leicht zwischen dem gebündelten Livefeed von Familienmitgliedern, Freunden und Geschäftspartnern unterscheiden, ich würde könnte mir sogar vorstellen, dass mein geliebter Google Reader bald überflüssig werden könnte, da immer mehr Blogger ihre RSS Feeds mit ihren Facebook Accounts verbinden werden.
Die Informationen kommen auf mich zu
Wenn ich mir nun noch mal die neue Facebook Startseite anschaue, fällt mir darüber hinaus auf wie “Share” das zentrale Element der Homepage geworden ist. Facebook hat erkannt, dass die relevantesten Informationen heute nicht mehr gegoogelt werden müssen, sondern mir über die “Shares” meines digitalen sozialen Netwerkes ganz natürlich zugetragen werden. Ich stelle mir vor, wie zum Beispiel ein Forscher in Zukunft neben der Unterteilung in Familie und Freunde (links im Screenshot) auch noch Gruppierungen “Forscher”, “Gesundheitsministerien”, “Firmen” etc. in seinem Facebook Stream hätte. Mit einem Klick kann er dann schnell sehen, was es alles Neues in der Welt von BASF, Ulla Schmidt oder den Forscherkollegen gibt.
Vielleicht muss man Google gar nicht besser machen, vielleicht muss man einfach nur die Zeichen der Zeiterkennen und entsprechende Produkte liefern?
Facebook als Google Killer
Es ist natürlich gewagt eine solche reißerische Aussage zu machen, doch wenn überhaupt eine Firma Google Konkurrenz machen könnte, dann ist es Facebook. Vielleicht nicht wegen, aber auf jeden Fall zu einem großen Teil dank Microsofts großzügiger Bewertung von 15 Milliarden für Facebook, wurden so auch Türen geöffnet und dem heimlichen Ziehsohn ein bisschen Ruhe beim Entwickeln und vor anderen Angeboten durch Microsoftkonkurrenten gewährt.
Ob Microsoft irgendwann mal ihre Live.com Suche in Facebook integrieren wird bleibt reine Spekulation. Fakt ist auf jeden Fall, dass ein Haufen guter Google Mitarbeiter sich entschieden haben zu Facebook zu wechseln. Fest steht auch, dass Facebook vorallem Dank des intelligenten Adservers mittlerweile die Möglichkeit haben dürfte, seine User in thematische Gruppen einzuteilen, und auch deren Gewohnheiten tracken könnte.
Mit Wissen, was bestimme Usergruppen auf Facebook an Informationen und Links teilen und wie andere Usergruppen das zu schätzen wissen (I like this/ I dont like this), hätte man durchaus eine echte Alternative zu Googles TrustRank entwickelt. Würde man dann noch das Klickverhalten dieser Usergruppen in den SERPS tracken und meine Suchergebnisse anhand dieser Daten und meinem direkten sozialen Umfeld optimieren müsste Google sich wahrscheinlich warm anziehen.
Wie auch immer es kommen wird, es wird spannend bleiben und ich freu mich drauf.
Bitte nicht zögern, Eure Kommentare sind willkommen und sogar gewünscht ;-)
P.S. Dieser Beitrag ist auch in englischer Sprache unter julius-dreyer.com zu finden.